"Bargeld abschaffen?" - Diese
Frage wird in einem Artikel gestellt, der vor einigen Tagen an dieser Stelle
veröffentlicht wurde. Die viel wichtigere Frage, die leider unbeantwortet
bleibt, lautet allerdings: Wie kommt man überhaupt erst auf die Idee, dass
jemand das Bargeld abschaffen will? Immerhin ist es die einfachste und
unbürokratischste Möglichkeit, kleine Transaktionen abzuwickeln.
Tatsächlich geistert der Mythos, irgendjemand - die EU, die Grünen, die
Illuminaten - wolle Münzen und Scheine aus dem Verkehr ziehen, damit nur noch
mit Karte gezahlt werden könne, immer wieder einmal durch die sozialen Medien,
allerdings in ähnlichen Kreisen, in denen auch vor Gedankenmanipulation durch
Flugzeug-Kondensstreifen gewarnt und behauptet wird, die Bundesrepublik
Deutschland sei eine GmbH.
Meistens ist es einer von zwei Anlässen, nach denen solche Gerüchte gestreut
werden. Zunächst wäre da die Diskussion über die Abschaffung von Ein- und
Zwei-Cent-Münzen. 2013 stellte EU-Währungskommissar Olli Rehn fest, dass die
Produktionskosten dieser Münzen ihren Wert übersteigen. Dabei sind sie aber auch
die Münzen, von denen die meisten Exemplare angefertigt werden müssen - sie
machen, Stand Dezember 2016, gemeinsam etwa 48% der Umlaufmenge an Euromünzen
aus, aber nur drei Prozent des Gesamtwerts. Die Herstellung ist also ein enormes
Verlustgeschäft.
Wenn man die Medien verfolgt, mag man beinahe den Eindruck gewinnen, als würde
ringsum die Welt im Chaos versinken. Die Geschehnisse in der Ukraine. Die
Nachwehen des Arabischen Frühlings. Großbritannien tritt aus der EU aus, das
EU-freundliche Schottland könnte sich in einem zweiten Anlauf nun doch von den
Engländern lossagen. Rechtsextremistische Ideologien werden wieder salonfähig,
Neonazis marschieren unter Bezeichnungen wie „PEGIDA“ und „Identitäre Bewegung“
in den Städten auf, und im Weißen Haus sitzt ein populistischer
frauenfeindlicher islamophober menschenverachtender Egomane mit gewissen
Komplexen bezüglich der Größe seiner Hände. Und nicht zuletzt gibt es da
natürlich auch noch den „Islamischen Staat“, kurz IS, mit seinen Bestrebungen,
ein globales „Kalifat“ zu errichten, der mit Terroranschlägen die Welt in Angst
und Schrecken versetzt. Noch nie, so zumindest das subjektive Gefühl, gab es in
Europa mehr terroristische Aktivitäten als heute.
Dass das nicht der Wahrheit entspricht, zeigt sich, wenn man sich die Daten
ansieht. Der jüngeren Generation sind RAF, IRA und ETA freilich kaum noch ein
Begriff, und auch aus dem Gedächtnis jener, die alt genug sind um es erlebt zu
haben, scheinen Ereignisse wie der Bombenanschlag auf Pan-Am 103 über Lockerbie
inzwischen verschwunden zu sein. Das mag auch daran liegen, dass wir heute mit
Informationen überflutet werden, immer und überall hautnah dabei sind:
Vergangen, die Zeiten, als Nachrichten des Abends im Fernsehen verlesen oder
morgens der Zeitung entnommen wurden. Kaum fällt heute in China ein Sack Reis
um, sind zwanzig Kamerateams vor Ort und berichten live. Und nicht alles, was
sie zu wissen glauben, entspricht der Wahrheit: Unverifizierbare Gerüchte auf
Facebook und Twitter finden ihren Weg in diese Berichte. Denn das Volk will
unterhalten werden, will wissen, was auf der Welt passiert, und zwar sofort.
Es will Sensationen, die bringen Quote. Und Quote bringt Werbeeinahmen, ohne die
man ein Nachrichtenmedium schwerlich betreiben kann. Dass da die Fakten oft auf
der Strecke bleiben, ist kaum weiter verwunderlich.